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Michael Kröger

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Daniel Neugbebauer

DIN_

Der Ausgangspunkt vieler ihrer Arbeiten ist das Geheimnisvolle des Raumes. Ein Geheimnis also, das oft nicht als solches erkannt wird, denn es fällt schwer, genau das zu untersuchen, was unserem Leben und Denken eine Struktur und damit ein Mindestmaß an Sicherheit gibt. Damit befragt sie nicht nur den Raum, sondern auch den Menschen.
DIN – die Deutsche Industrie Norm ist vermutlich nicht Ihr üblicher Wegweiser zur Kunst. Meiner war es bisher auch nicht. Sonja Meyer befragt mit DIN die Grundfesten unserer Wahrnehmung und Weltordnung. Es geht jedoch nicht um einen billigen optischen Trick, der dafür sorgt, dass Ihnen schwindelig wird – Meyer geht es nie um Muskelspiele, um eine Demonstration der Macht, die Kunst haben kann. Im Gegenteil: Sie greift die Macht des (gewohnheitsmäßigen) Sehens an und öffnet so die Wahrnehmung für eine Neuerfahrung des konkreten Raums, in dem ihre Arbeiten stehen. Sie öffnet also hier die Türen- und nicht Sie. Meyers Arbeiten funktionieren also gerade nicht als l´art pour l´art, huldigen keiner hehren Ästhetik. Jede ihrer Arbeiten verbindet den immateriellen Raum mit dem materiellen Raum. Das Hier, das Jetzt, die Person definiert erst, was Raum genannt werden darf. Jeder Raum, der von Ihnen gedacht wird, ist nun auch Ihr Raum. Sie füllen ihn mit Ihrer sozialen und psychologischen Dimension – oder einfacher: mit Ihrem Wesen. Wenn sie sich auf Sonja Meyers Raumeingriffe einlassen wollen, müssen Sie sich auf sich selbst einlassen.

Aus diesem Grund ist alles, was Sie in dieser Ausstellung sehen können, so konkret. Steine, Metallwinkel, Gips – zum Material lässt Sonja Meyer keine große Distanz entstehen. Allerdings unterscheidet sich Ihre Art der Nutzung dieser Materialien gewiss von den Vorgaben, die Sie von OBI, Hornbach oder Praktiker kennen. Zu fragen ist also: Worin genau liegt nun dieser Unterschied?

„Die Gestalt der Dinge ist das Geheimnis, das uns lockt“, formuliert es Hugo Häring 1952. Im Katalog zu dieser Ausstellung werden Sie feststellen, dass Sonja Meyer sich intensiv mit den Überlegungen dieses Architekten und Theoretikers (1882-1958) auseinander setzte. In Härings Schriften werden jedoch weder alle Antworten zur Arbeit Meyers quasi vor ihrer Entstehung geliefert, noch ist die Ausstellung als praktisches Exempel zu dessen Theorie zu verstehen. Vielmehr stellte Häring Paradigmen zur Disposition, die Meyer wiederum neu befragen und formulieren kann. Was sich jedoch bei Häring UND bei Meyer findet, ist eine Ähnlichkeit der Fragestellung. Sonja Meyer nähert sich von der Skulptur, Häring von der Architektur. Ausgehend von der Überzeugung, dass die Kunst allein keine Antwort auf die Frage nach ihrer Gestalt liefert, streben beide eine tiefere Betrachtungsweise der Entwicklung von Formbewusstsein an.
Hybride, unreine Geschöpfe, bringen uns hier auf eine entscheidende Spur. Organisch (das Werkzeughafte, beim Leben Behilfliche) oder geometrisch (das nach Prinzipien sui generis Geordnete), das sind die Pole, die Häring vorgibt. Das Gesetz des Fleisches und das Gesetz des Geistes, um es etwas griffiger zu formulieren. Oder, noch einfacher: OBI versus Platon.

Wo findet man in dieser Dichotomie Platz für Meyers Kunst? Das will ich verdeutlichen:
Der Mensch ist pragmatisch: er will angenehm Leben. Der Mensch ist auch idealistisch: Er will die Entdeckungen des Geistes begreifbar machen. Resultat: Architektur. So Häring. Der Hybrid par Excellence – aus geometrischen Gesetzen geboren, zur Behausung erkoren. Sonja Meyer erkundet diese Zwischenwelt vom Standpunkt des Bildhauerischen, aus der Skulptur. Sie befasst sich ebenso wie Häring mit der gesellschaftlichen Strukturierung des Menschen. Allerdings entstehen daraus keine Werke mit praktischem Nutzen wie in der Architektur.

Beim Betreten dieses Teils der Ausstellung laufen Sie beinahe gegen die Wand. Ein Erker aus Glaswolle muss umschifft werde, um in den Ausstellungsraum zu gelangen. Geburtsgleich kommen Sie beinahe aus dem Inneren dieser Begrenzungsmarkierung. Von der anderen Seite betrachtet scheinen die von Meyer in den Raum gezogenen Wände die Durchgänge zu versperren. Hier wehrt sich der Raum gegen Nichtbeachtung und Verlassenwerden, zwingt Ihren Blick auf die Qualität des Steines, die weitere Fragen aufwirft. Innen oder außen? Roh oder fertig? Schön oder sinnvoll? Warum schließlich befinden Sie sich in diesem Raum, wozu nutzen und wozu brauchen Sie ihn?
„Das Gefüge ist der Raum. Der Raum ist das Gefüge.“ Welcher Aussage stimmen Sie zu? Ich könnte Sie bitten, die Hände für jeweils eine zu heben…
Diese Sätze sind hier omnipräsent. Sie werden in den Raum gestellt. Genau wie die anderen Konstrukte von Sonja Meyer in den Raum gestellt werden. Die für sie typischen Rahmenkonstrukte fokussieren kein Werk, keine Aussage, sondern das Wie und Warum des Fokussierens.

Natürlich kommt einem beim Anblick der Ausstellung sofort die Minimal Art in den Sinn. Die „Bereinigung“ des Ausstellungsraums bis hin zum White Cube wird evoziert, die Analytische Malerei gestriffen, der Postminimalismus variiert.
Gleich zwei Räume in der Ausstellung enthalten keinen materiellen Verweis auf den Raum, kein faktisches Werk und dennoch sind sie von Meyer belegt, indem sie dort Texte bereit stellt, die sich mit den Grundfiguren der Gestaltung sowie deren politischer Qualität auseinander setzen.

Von Sonja Meyer veränderte Räume erklären nicht, revoltieren nicht, ästhetisieren nicht. Hauptsächlich machen sie eines: Sie öffnen. Sie sind durchlässig, fragil, hybrid. Die Erweiterung des „Lebenwollens“ jedes Menschen durch „Gesetzwollen“ oder Struktur, macht eines deutlich: Gestalt/ung ist die Hybridisierung beider Elemente. Gestalt ist unrein. Der Motor gestalterischer Innovation ist also die fortschreitende geistige Erkenntnis, die sich mit sich stets verändernden „organischen“ Ansprüchen paart. Damit will ich nicht sagen: Kunst kann nur zufällig aus den Gegebenheiten der Philosophie und einer ethnologischen Determination entstehen. Ich rede also keiner passiven Kunstauffassung das Wort, die den Künstler/die Künstlerin als passiv Suchenden beschreibt. Allerdings negiert Meyer eine hermeneutische Teleologie. Das heißt, sie zeigt vielmehr innerhalb dieser hybriden Kunstauffassung die soziale Verantwortung des Künstlers/der Künstlerin. Wenn nämlich das System Kunst in beide Richtungen, in die organische und die geometrische, offen ist, so kann für ein Element aus einer Sphäre ein Korrelat in der gegensätzlichen gesucht und formuliert werden. Eine solche Kunst fördert den Intellekt, indem es neue Strukturen zu bedenken gibt, während sie gleichsam die Person, das Individuum mit individuellen Sehnsüchten, ernst nimmt und integriert.

Beim Betrachten der Werke Sonja Meyers würde ich von einer Form des Erfahrbarmachens von Zwischenzonen sprechen. So banal das klingt, so schwierig ist es doch, eine Offenheit im Werk aufrecht zu erhalten, ohne beliebig zu werden oder einen exklusiven Wahrhaftigkeitsanspruch anzumelden. Meyer umreißt filigrane Bereiche, die Häring vielleicht zwischen Organischem und Geometrischem, sie selbst wohl eher zwischen Skulptur und Architektur verorten würde. Sie integrieren jedenfalls beides.

Durch die Arbeit mit dem zerbrechlichen Gipsrahmen im zweiten Ausstellungsbereich werden Sie direkt auf diesen Raum hin befragt. Was für einen Raum ist das. Wie wurde er konstruiert? Wie wirkt er auf mich und ich auf ihn? Hat dieser Raum bei der letzten Ausstellung, die Sie hier sahen, anders gewirkt – oder würden Sie vielleicht so weit gehen zu sagen: Es war ein anderer Raum? Die vorgegebene Gestalt oder besser: Geometrie des Raumes, sein geistiger, architektonischer Anspruch, muss sich jetzt mit ihrem Körper und den Körpern um Sie herum, mit dem sozialen Gefüge, messen. Und wieder: Der Raum ist das Gefüge, das Gefüge ist der Raum. Hat sich ihre Meinung inzwischen geändert?

Indem Sonja Meyer Ihren Blick auf die jeweilige räumliche Situation lenkt, weckt sie die Kunst aus ihrem Dornröschenschlaf. Denn jede der ausgestellten Arbeiten, das wird Ihnen nicht schwer fallen zu entdecken, lebt davon, dass Sie sich als Person mit Kultur, Geschichte, Psychologie zu ihr positionieren. Sie sind das Bindeglied zwischen Geometrie und Organhaftem – Sie sind die Künstler (im Beuysschen Sinne) und Sonja Meyers Kunst ist Ihr Vehikel, Ihr Bus oder Ihre Brille.
Um als Mensch, als Gestalter, als Schöngeist oder knallharter Rationalist Fragen von Bedeutung formulieren zu können, bleibt es nicht aus, Erkenntnisse der Mathematik, der Astronomie, Geometrie berücksichtigen zu müssen, genauso wenig wie soziale Kontexte, psychologische Determinanten oder kulturelle Gegebenheiten. Die Auseinandersetzung mit dem Thema „Gestalt“ und „Gestaltung“ wird also hochkomplex. Diese Komplexität in eine einfache, anschauliche Form zu bringen, erfordert ein hohes Maß an Aufmerksamkeit und konzisem Denken. Sonja Meyer besitzt dieses Talent.
?“Was ist schon menschlicher als ein Winkel?“ fragte sie mich vor einigen Tagen. Ich war zunächst verblüfft und hatte natürlich keine Antwort. Betrachtet man die Ausstellung, beginnt es, einem zu dämmern. Das Potential industrieller Fertigung und die Freiheit innerhalb der Normen – die Deutsche Industrienorm als Paradebeispiel unserer Welterfahrung wird in ihrer Absurdität und Erhabenheit in überzeugende künstlerische Form gebracht.